Klimakrise und unsere Glückssuche

Da der mögliche Turnaround zum Stoppen der Klimakatastrophe nur mit Verzicht einhergeht, löst er damit viel Angst, Widerstand und offene Ablehnung aus.
In meinen Augen schaffen wir als Gesellschaft dies nur durch Veränderung unserer Sicht auf das Glück.

Vom Hedonismus zum „gelingenden Leben“

Im Griechenland der Antike unterschied die Philosophie das Glück in Hedonismus (hedone), was Vergnügen, Lust, Genuss, sinnliche Begierde beinhaltet von Eudaimonia, der Glückseligkeit, des gelingenden, also sinnvollen Lebens, welche auch die Ataraxie, die Gelassenheit beinhaltet, die sich einstellt, wenn man für sich die wichtigsten Lebensfragen geklärt hat.
Der Hedonismus führt zu einem Immer-noch-mehr oder Immer-noch-besser mit sogenanntem Miswanting – und dies schafft die negativen Faktoren für unseren stetig wachsenden Konsum und Wirtschaft und führt damit direkt in die Klimakatastrophe.

Die hedonische Tretmühle

Es ist völlig in Ordnung, Träume zu haben und unmögliche Ziele zu verfolgen und Wünsche zu haben. Aber es lohnt sich auch zu bedenken, dass alles im Leben nur vorübergehend ist. Es gibt etwas, was Psychologen die “hedonische Tretmühle” nennen: Wann immer Sie etwas erreichen, gibt es immer irgendein weiteres Ziel, ein weiterer Wunsch. Das Erreichte wird schnell schal. Und so läuft man immer im Kreis, immer auf der Suche nach dem nächsten Ziel und wird nie glücklich und zufrieden sein. Wenn Sie das einmal erkannt haben, dann ist es an der Zeit zu fragen: Was ist wirklich wertvoll – nicht nur für mich, sondern für möglichst viele Menschen, ob sie mir nahestehend sind oder nicht.

Hierzu eine Katzengeschichte:
Eines Tages kreuzte die alte Gassenkatze ihren Weg mit einer jüngeren Katze, die wild herumlief und versuchte, ihren eigenen Schwanz zu fangen. Die ältere Katze beobachtete sie eine Zeit lang aufmerksam. Als die junge Katze für eine Verschnaufpause anhielt, fragte die ältere Katze: „Würde es dir etwas ausmachen, mir zu sagen, was du da tust?“
Die junge Katze sagte: „Aber sicher! Ich war in der Katzenphilosophieschule und habe gelernt, dass das Glück in unseren Schwänzen steckt. Also werde ich weiter meinem Schwanz nachjagen und eines Tages werde ich ihn fangen und einen grossen Bissen Glück bekommen.“
Die ältere Katze antwortete: „Nun, ich war noch nie auf der Katzenphilosophieschule, aber ich stimme zu: Das Glück ist in unseren Schwänzen. Ich habe jedoch festgestellt, dass es mir überallhin folgt, wenn ich einfach herumlaufe und das Leben geniesse.“

Diese Idee, dem Glück nicht hinterherzujagen, wurde in einer Studie aus dem Jahr 2011 von der Yale-Psychologin June Gruber und Kollegen hervorgehoben, die herausfanden, dass das Streben nach Glück zu erhöhten Erwartungen führen kann, die, wenn sie nicht erfüllt werden, tatsächlich den gegenteiligen Effekt von Glück haben.

Weg aus der Klimakrise

Das Verlassen dieses Hedonismus wird heute immer noch als Verzicht empfunden. Jedoch scheint mir der einzige und grundsätzliche Weg aus der Klimakrise, diese Sicht unseres Glücks zu verändern in Richtung eines Bilds von Lebenssinn und gelingendem Leben. Erst dann wird allgemein ein Weniger nicht mehr als Verzicht, sondern als Bereicherung empfunden. Es gilt sogar die Aussage, dass alles was uns zufriedener macht, auch gut für unser Klima ist!

Wie sieht dieses andere Glück (Eudämonie) aus, welches zufriedener macht?

Alles Miswanting ist ein Fehlwunsch oder Fehlwollen und laut Wilson und Gilbert, die den Begriff geprägt haben, der Akt, sich darüber zu irren, was und wie sehr uns etwas in der Zukunft glücklich machen wird. Unser Hirn gibt uns diese problematische Vorstellung, dass bestimmte Dinge fehlen, um glücklich zu werden. Damit liegen wir aber zu 90% falsch und werden ständig fehlgeleitet. Diese Dinge unten machen nämlich nach grossen Studien höchstens mickrige 10% aus, die wir damit unser Wohlbefinden heben können!

Miswanting ist vergleichbar mit der Anhaftung im Buddhismus, einer Art Mangelvorstellung, dass immer noch etwas fehlt zum Glücklichwerden.

Sie müssen das schmutzige Wasser ausleeren, bevor Sie den Krug mit sauberem füllen

Sauberes Wasser ist ein anderes Bild für Liebe, Inneren Frieden, Lebendigsein oder Glück. Es wird schmutzig, sobald es sich in meinen Becher ergiesst, der mit Anhaftungen, Ideen und Überzeugungen verstopft ist. Honig mit einem Tropfen Zyanid ist eben kein Honig mehr. Er wird bitter und vergiftet mich.

Buddhisten sagen, aller Schmerz kommt von Anhaftung. Alle Anhaftungen aufzugeben, heisst auch, die sorgfältig versteckte Anhaftung an die Idee, „glücklich zu sein“ einzuschliessen. Völlige Nicht-Anhaftung ist eine Voraussetzung für die Liebe – und Liebe ist nur ein anderes Wort für den „Gipfel des Glücks“.

Vergleichen macht unglücklich!

Menschen neigen dazu, sich allzu häufig nach oben zu vergleichen. Deshalb ist es egal, wie gut es einem geht, irgendjemandem geht es immer besser, irgendjemand ist stets schöner, reicher, gesünder, grösser, kompetenter, stärker, lustiger, schlauer und grundsätzlich irgendwie toller.

Was macht uns den wirklich „glücklicher“?

  • Kindnessauch zu sich selbst!
  • Soziale, freundschaftliche Verbindungen – Aufgehobensein
  • Viel Zeit (und nicht „viel Geld“!)
  • Bewegung ohne Anstrengung und Mühe (lustvoll und nicht leistungsbetont)
  • genügend Schlaf
  • In Meditation den Gedankenfluss stoppen.
  • Nicht „gut“ statt „glücklich“ sein zu wollen!

Und all dies ist kostenlos und für unser Klima nicht schädlich…

Verzichten Sie (ein oder zwei Tage) auf Ihre Lieblingssachen

Wie wir alle gut wissen, lernt man die selbstverständlichen Dinge, zu schätzen, wenn man sich etwas verweigert.
Die Idee ist, dass Sie die Dinge, die Sie wirklich sehr mögen, eine Zeitlang stoppen. Wenn Sie es also lieben, jeden Tag denselben Kaffee zu trinken, lassen Sie ihn ein paar Tage weg und wenn Sie warten und ihn dann wieder trinken, wird er viel besser schmecken als alle, die Sie in der Zwischenzeit getrunken haben.
Es gibt viele Dinge die sich dazu eignen: der tägliche Kaffee, Fleisch essen, das Netflix-Surfen, die iPhone-Spiele… aber auch an ein paar Tage Alleinzeit, ohne Ihre Partner*in, wieder mal mit der Eisenbahn in eine europäische Stadt fahren (und nicht schnell hinfliegen)…

Statt „Glück“ oder „Lebenssinn“ besser „Lebendigsein“ und „Innerer Frieden“

Wäre es nicht viel sinnvoller, wenn wir mit all dieser Erkenntnis über die Klimaschädlichkeit unseres süchtigen Konsumverhalten und Wachstumsglaubens den daraus resultierenden vergifteten Glücksbegriff mit Lebendigsein und Innerem Frieden ersetzen. Mit diesen viel sanfteren Ziele würden wir auch unsere einzige Erde in Ruhe und Frieden lassen.

„Man sagt, dass wir einen Sinn des Lebens suchen… Ich glaube, was wir wirklich suchen, das ist die Erfahrung des Lebendigseins, so dass unsere physische Existenz mit unserem innersten Sein und unserer innersten Wirklichkeit zusammenklingt und wir tatsächlich fühlen, was es heisst, lebendig zu sein.“ Joseph Campell
Wie komme ich wieder zu meinem „Lebendigsein?

„Wenn du deprimiert bist, lebst du in der Vergangenheit. Wenn du besorgt bist, lebst du in der Zukunft. Wenn du in Frieden bist, lebst du in der Gegenwart.“ Lao Tse
Was kann helfen, den inneren Frieden zu fördern?

Miswanting und Klimakrise – anhand des Philosophen Spinoza

Warum versuchen die reichsten Menschen, die Klimakrise aktiv zu leugnen, anstatt sie anzugehen? Die Philosophin Beth Lord argumentiert in Anlehnung an Spinoza, dass sie von negativen Emotionen gesteuert werden. Normalerweise helfen uns unsere Gefühle dabei, nach dem zu streben, was gut für uns ist, und das zu vermeiden, was schlecht ist. Wir haben drei grundlegende Empfindungen: Freude, Traurigkeit und Verlangen. Verlangen ist ein Ausdruck des conatus (gemäss Spinoza), der Kreativität der Natur, die sich „im Inneren“ eines jeden Einzelwesens zeigt als das „Streben“, da zu sein und dazubleiben. Die Trägheitsbewegung der Steine, das Wachsen und die Selbsterhaltungsbemühungen der Lebewesen sind Manifestationen dieser natürlichen Schöpfungskraft. Sich zu erhalten, ist der grundlegende „Trieb“ eines Wesens. Wir streben nach Dingen, die uns Freude bereiten, und vermeiden Dinge, die uns traurig machen. Insgesamt dient dies unserer Selbsterhaltung. Aufgrund der komplexen Verflechtung unserer Emotionen ist es jedoch möglich, dass wir uns täuschen und Dinge begehren, die uns nicht wirklich helfen, uns selbst zu verwirklichen. Das Streben nach Prestige, Ruhm und Reichtum scheint uns zu helfen, uns selbst zu verwirklichen, aber in Wirklichkeit sind wir davon beherrscht. Typische Beispiele von Miswanting also.

Spinoza lebte ein karges, besitzloses Leben und versuchte, sich von Ruhm und Rampenlicht fernzuhalten. Er lehnte eine prestige­trächtige Professur an der Universität Heidelberg ab und wollte nicht als Alleinerbe eines Freundes eingesetzt werden, auch wenn ihn das auf Lebenszeit unabhängig gemacht hätte. Stattdessen zog er es vor, Linsen zu schleifen, um seinen Lebens­unterhalt zu verdienen.

Er war also nicht der Meinung, dass Wohlstand oder, wie er es ausdrückte, «Glückseligkeit» (beatitudo) in materiellem Reichtum und Ruhm zu finden sei. Seine Arbeit als Linsenschleifer hingegen bot ihm mehr Möglichkeiten zur Selbst­verwirklichung, denn sie machte ihn zu einem Teil der vernetzten, aufstrebenden Gemeinschaft der frühen Wissenschaftler zu Beginn der wissenschaftlichen Revolution, von denen viele Linsen in ihren Teleskopen und Mikroskopen verwendeten.

Spinoza verortete Glückseligkeit zwar nicht im irdischen Reichtum, aber er ging auch nicht davon aus, dass sie in einem Leben nach dem Tod zu finden sei. Im 17. Jahrhundert glaubten die meisten Menschen, dass man erst nach dem Tod Glückseligkeit erlangen könne, wenn man zu Lebzeiten die moralischen Regeln befolgte und freiwillig auf bestimmte Vergnügungen verzichtete. Spinozas radikale Einsicht war jedoch, dass man in diesem Leben Glückseligkeit erlangen kann. Er schrieb: „Glückseligkeit ist nicht der Lohn der Tugend, sondern die Tugend selbst; wir geniessen sie auch nicht, weil wir unsere Lüste zügeln, sondern im Gegenteil, weil wir sie geniessen, können wir sie zügeln.“

Seine Vorstellung von Glückseligkeit ist eng mit seiner Auffassung von Selbstverwirklichung verbunden. Wir erinnern uns, dass Spinoza Gott als Natur ansieht. Selbstverwirklichung setzt voraus, dass wir uns selbst als Ausdruck Gottes verstehen und dadurch Gott lieben lernen.

Doch was bedeutet ein solches Verständnis?

Eine neuere Interpretation bietet Alexander Douglas in seinem Buch «The Philosophy of Hope» (2023). Für Spinoza ist Glückseligkeit demnach eine Art Ruhe der Seele oder geistige Zufriedenheit. Sie entspringt der intellektuellen Liebe zu Gott oder zur Natur. Für Spinoza steigert das Wissen unsere Kraft und damit unsere Selbst­erhaltung. Wenn unsere Emotionen uns in die Irre führen (zum Beispiel wenn wir nach Ansehen oder Ruhm streben), schwächen wir unsere Selbst­erhaltung, weil wir dazu angetrieben werden, uns auf äussere Werte zu fokussieren.

Das höchste Wissen, das wir anstreben können, ist das Wissen über das Universum als Ganzes. Dieses Wissen ist auch Wissen über das Selbst, denn jede von uns ist ein Ausdruck Gottes. Douglas stellt klar, dass dies nicht bedeutet, dass wir Teile Gottes sind, wie Puzzlestücke. Vielmehr drückt jede von uns – eine einzelne Fliege, eine Rose, ein Berg oder eine Wolke – «das Ganze auf seine eigene Art und Weise aus».

Erst wenn man sich bewusst wird, dass man ein Ausdruck der gesamten Natur ist, wird einem klar, dass man zwar sterben wird, aber in einem nicht trivialen Sinne auch ewig ist, da die eine Substanz, deren Ausdruck man ist, bestehen bleibt.

Spinoza sagt, dass das Gedeihen oder die Glückseligkeit nicht der Lohn der Tugend ist, sondern die Tugend selbst. Wenn wir dies erreicht haben, brauchen wir unsere Begierden nicht mehr zu zügeln, denn sie werden sich auflösen, wenn wir diese kognitive Einheit mit dem Rest der Natur erreichen.

Nun mag sich all dieses Gerede über die Zügelung der eigenen Begierden moralistisch und altmodisch anfühlen. Aber Spinoza bringt einen wichtigen Punkt zur Sprache: nämlich dass es letztlich selbst­zerstörerisch ist, wenn man aus Spass Dinge tut wie Last-Chance-Tourismus – der Besuch von Orten auf der Erde, die aufgrund der Klimakrise bald verschwinden werden – oder Tiefsee­forschung.

In ähnlicher Weise können wir das Gefühl haben, dass der Verzicht auf ein Steak oder häufige Flugreisen eine Einschränkung für uns darstellen. Aber wenn wir erst einmal verstehen, dass wir Teil eines zerbrechlichen, grossen Ökosystems und des Planeten sind, wird es sich eher so anfühlen, als würden wir unser erweitertes Selbst bewahren, anstatt uns selbst zu beschneiden. Spinoza erklärt in seiner «Kurzen Abhandlung von Gott, dem Menschen und dessen Glück» (um 1660): «Da wir feststellen, dass das Streben nach sinnlichen Freuden, Begierden und weltlichen Dingen nicht zu unserem Heil, sondern zu unserer Zerstörung führt, ziehen wir es vor, uns von unserem Verstand leiten zu lassen.»

Paradoxerweise unterschätzen wir unsere eigene Fähigkeit, echte Zufriedenheit und Wohlbefinden aus einfachen Vergnügungen zu ziehen, die nicht mit der Zerstörung des Planeten einhergehen. Vielmehr denken wir, dass wir viel Infra­struktur und teure Dinge brauchen, um glücklich zu sein, während das Glück doch gleich um die Ecke liegt.

Selbstverwirklichung verstärkt unsere Macht. Wie erwähnt, jagen wir Dingen nach, von denen wir glauben, dass sie uns Freude bringen, wie Reichtum und Ansehen – die aber unsere Macht verringern, weil sie uns in ihrem Bann halten. Wahre Freude im spinozistischen Sinne bedeutet, ein intellektuelles Verständnis von sich selbst und seiner Beziehung zur Welt zu haben.
(zitiert aus „Warum wir unseren Umgang mit der Welt radikal überdenken müssen“ von Helen de Cruz in der REPUBLIK, 05.09.2023,)

Quellen:

Foto von Catalin Pop auf Unsplash

Letzte Aktualisierung durch Thomas Walser:
05. September 2023