Der innere Frieden

„Wenn du deprimiert bist, lebst du in der Vergangenheit. Wenn du besorgt bist, lebst du in der Zukunft. Wenn du in Frieden bist, lebst du in der Gegenwart.“ Lao Tse

Frieden hat viel mit Hingabe zu tun. Sich hingeben an den Moment, an das Hier und Jetzt. Auch die Hingabe an all unsere Ängste und Widerstände bringt Frieden. Man sagt dazu so schön (und ich finde dies eine treffende Formulierung):
Seine Ängste nicht nur an der Hand, sondern in die Arme nehmen.
Der Weg durch die eigenen Widerstände hindurch ist anstrengend und schmerzhaft. Es ist aber eine grosse Hilfe, den Automatismen und Widerständen in sich selbst zu begegnen, die zur Katastrophe, zum Unfrieden und zum Leiden geführt haben. Diesen steinigen Weg auch bis zum Ende zu gehen und nicht beim ersten oder zweiten Widerstand auszuweichen und abzubrechen, ist wichtig. Dranbleiben und nicht alles auf einmal gelöst haben wollen – bleiben, bis sie sich durch Zeit und Atem selbst verändern, vielleicht sogar zur (Auf-)Lösung und Heilung kommen.

Was kann helfen, den inneren Frieden zu fördern?

  • Ich höre auf, mich zu bekämpfen.
  • Ich bin im Hier und Jetzt.
  • Ich nehme mir Zeit für mich.
  • Ich tue, was sich für mich richtig anfühlt.
  • Ich setze Grenzen.
  • Ich lasse Andere sich selbst sein.
  • Ich akzeptiere mich, wie ich bin. Ich sage JA zu mir.
  • Ich sage, was ich fühle und denke.
  • Ich akzeptiere den IST-Zustand.
  • Ich schliesse Frieden mit meiner Vergangenheit.
  • Ich bin authentisch.

Innerer Frieden und Lebendigkeit

Ich kann nur dann wirklich lebendig sein, wenn ich im Frieden bin. Das Ego, oder zumindest mein Ego, hat eine andere Vorstellung: „Du bist nur lebendig, wenn du Aufregung spürst, einen Adrenalinstoss hast, eine grosse Flasche Wein öffnest…“. Frieden ist aus der Sicht des Egos jener kurze, leuchtende Moment, in dem ich kurzzeitig frei von Verlangen bin. Sekunden, oder Stunden, oder einen Tag später kommt das Ego, die Wunschmaschine, die es ist, mit dem nächsten Wunsch. Es ist also klar, dass der Schlüssel zu einem dauerhaften Frieden des Glücks darin liegt, frei von allem Verlangen zu sein.

Bewusstheit der Sinne und Empfindungen

Seine eigenen Sinne ganz bewusst wahrnehmen, ist sehr hilfreich, um ganz in seine eigene Kraft zu kommen. Das innere Friedensgefühl kann sich so über die Bewusstheit der Empfindung immer mehr einstellen. Anfangs nur für kurze Momente, mit der Zeit vielleicht sogar über längere Abschnitte. Allein ein Momentfriedensgefühl ist anzustreben. Geht es hier doch weniger um einen Dauerfriedenszustand (was für viele von uns vielleicht erstrebenswert scheint, aber uns auch schnell unter einen grossen Erwartungsdruck setzt). Es geht hier vielmehr um die kurzen Friedensmomente im Leben, in den kleinen Zwischenräumen des Alltags, die uns stimmig berühren und nähren und die sich schlicht friedenswert in uns selbst anfühlen. Sei dies im Miteinander mit anderen Menschen oder auch beim ganz Mit-Sich-Selbst-Verweilen.
Wichtig scheint mir bei der Annäherung an dieses innere Friedensgefühl auch, dass ich immer wieder in die eigenen Kraftzentren von Fähigkeiten und Stärken eintauche. Bin ich mir immer tiefer bekannt, weiss ich was ich will und was mir gut tut, wo meine Wünsche und Bedürfnisse sind, fällt es mir leichter, mir in Frieden zu begegnen. Dies bedeutet auch, sich nicht nur den eigenen Ängsten und Widerständen hinzugeben, sich ihnen zu stellen, sondern auch den Werten in sich selbst mehr bewusst zu werden. Darin ruht ein grosses Stück Friede, Friede zu sich selbst, Friede in sich selbst.

Erwartungslosigkeit

Frieden hat auch etwas mit Erwartungslosigkeit zu tun. Keine Erwartungen zu haben, befreit mich vor zuviel Tun und lässt mich friedvoll im Sein. Zeiten, in denen ich wenig plane, mich wenig verplane, einfach geschehen lasse und schaue, was auf mich zukommt, geben mir Freiheit und die Möglichkeit, mich in dieses Friedensruhegefühl vom Jetzt hineinzugeben.

Struktur am richtigen Ort und in der rechten Situation ist wichtig. Wollen wir aber mehr unsere innere ruhende Kraft nähren, mehr Friede in uns selbst erreichen, hilft spontanes, reiches Im-Moment-Sein mehr.

„negative“ Gefühle

Es gibt nun Gefühle, die sich so gar nicht produktiv anfühlen und unseren inneren Frieden gewaltig stören. Zum Beispiel Wut und Ärger. In meinen Augen ist es wichtig, die Ursache des Ärgers zu finden, um wieder mit dem Leben verbunden zu sein und unsren Frieden zu finden. Um Ärger „gewaltfrei“ auszudrücken, müssen wir uns bewusst machen, dass es niemals die andere Person ist, die uns ärgerlich macht. Ärger wird durch Denken verursacht (Fritz Perls). Es ist wichtig, Auslöser und Ursache des Ärgers in uns zu unterscheiden. Also, was ist in diesem Fall die Ursache für den Ärger? Was denken wir über eine Person oder eine Situation, die uns ärgerlich macht. Wenn sich Ärger in unseren Herzen breit macht, dann haben wir meist ein „sollte“ im Kopf: zum Beispiel, „Er sollte die Wohnung besser sauber halten.“, etc… Eines der gefährlichsten Worte, das die Menschen erfunden haben (Marshall B. Rosenberg, Gewaltfreie Kommunikation).
Am besten ist es erstmals, das „sollte“ aus dem Kopf zu kriegen und es in ein Bedürfnis umzuwandeln. Wenn wir mit unseren Bedürfnissen verbunden sind, sind wir nicht mehr ärgerlich oder wütend. Kann sein, dass wir dann frustriert sind oder traurig, aber nicht wütend. Wir sind nur wütend, wenn wir vom Leben abgeschnitten sind. Also: Wenn Sie von dem „sollte“ im Kopf zu den dahinter liegenden Bedürfnissen gelangt sind, dann könnten sie Folgendes sagen: „Ich bin gerade frustriert, weil ich mein Bedürfnis nach Respekt nicht erfüllt sehe, wenn die Wohnung nicht aufgeräumt ist.“

Es geht übrigens nicht darum, die Wut zu unterdrücken. Es geht viel mehr darum, sich tiefer auf die Wut einzulassen und bis zu ihrer Wurzel zu gehen. Dort finden wir immer unerfüllte Bedürfnisse. Und sobald ich mich mit meinen Bedürfnissen verbunden habe, spüre ich keine Wut mehr und finde meinen Frieden. Ich kann nur wütend sein, wenn ich mich vom Leben abschneide.

Ich liebe diese Gefühle: Wut – übrigens auch Schuld, Scham und Depression: Sie wecken mich auf und sagen mir, dass ich nicht am Leben bin, sondern dass ich mit diesem Spiel beschäftigt bin, jemanden oder mich fertig zu machen. Dies macht definitiv keinen Spass und nimmt mir meinen inneren Frieden.

Wie hängen nun Schuld-und Schamgefühle und Depression mit Wut zusammen? Das sind nach innen gerichtete Formen von Gewalt. Wenn man sich schuldig oder depressiv fühlt und mal versucht, einen Moment innezuhalten und die eigenen Gedanken zu untersuchen, wird man feststellen, dass man eine Herde wilder Wölfe im Kopf hat, die einem ununterbrochen erzählen, was alles mit einem nicht stimmt. Wenn man wütend ist, dann wenden die Wölfe sich nach aussen und machen eine andere Person fertig.

Die positiven Seiten der Wut

Ursula Hess, die als Psychologie­professorin an der Humboldt-Universität in Berlin zu Emotionen, auch zur Wut forscht. In ihrem Buch «Anger is a Positive Emotion», der 2014 erschienen ist, geht sie auf die positiven Seiten von Wut ein. Sie sammelt darin Ergebnisse aus verschiedenen Studien:
Wut setzt Energie frei und bündelt Aufmerksamkeit, um Unrecht aufzulösen. Und wütende Menschen sind energie­geladener, aktiver.

Wut ist das Gegenteil von Scham

„Was bedeutet es, einen weiblichen Körper zu haben? Die Wut findet keinen Platz hier zwischen meiner sanften Stimme und meinen geröteten Wangen und meinen zarten Glied­massen und meinem Wimpern­aufschlag wie aus einer Parfüm­werbung. Ich bin eine Frau. Wir werden vergewaltigt und begrabscht und getötet und geschlagen und klein ­gehalten. Und am schlimmsten: Uns wird die Möglichkeit genommen, mit Wut darauf zu reagieren. Was uns bleibt, ist das Schämen.

Scham zieht sich durch ein ganzes Leben. Ich schäme mich für die Haare um meine Nippel und die Stoppeln neben meiner Unterhose, und dafür, dass ich nichts sage, wenn vermeintlich linke Männer nur Frauen respektieren, die sie hot finden, ich schäme mich fürs Zu-laut-Sein und fürs Schweigen. Ich schäme mich dafür, dass es wehtut auszusprechen, was mir passiert ist.

In dem Sommer sass ich oft in einer kleinen Bar im Berliner Ortsteil Neukölln. Und blieb so lange, bis meine Freunde gingen, bis mich niemand mehr kannte. Das mochte ich. Ich hatte manchmal das Gefühl, mich selbst auch nicht mehr zu kennen.

Dort empfahl mir eine Frau «King Kong Theorie» von Virginie Despentes, Autorin, Regisseurin, Feministin, Ex-Sexarbeiterin. Sie schreibt darin in ihrem Essay «Impossible de violer cette femme pleine de vice» über ihre Vergewaltigung: «Ich bin wütend auf eine Gesellschaft, die mich erzogen hat, ohne mir je beizubringen, einen Mann zu verletzen, der mir mit Gewalt die Beine spreizt, während die gleiche Gesellschaft mir eingetrichtert hat, dass das ein Verbrechen sei, von dem ich mich nicht mehr erholen dürfe.»

Nur ein reiner, unbefleckter Körper ist ein wertvoller Körper. Ein vergewaltigter Körper ist ein kaputter Körper. Dieser Wunsch nach Reinheit ist eine Diskriminerungs­strategie gegen die Körper, die sexualisierte Gewalt erfahren. Denn wer sich selbst verteidigt, wehrt sich gegen ein unter­drückendes System, das darauf basiert, unsere Körper zu kontrollieren. Wut ist nicht für uns.
(…)

Wütend sein bedeutet auch, mich nicht mehr ständig infrage zu stellen. Wütend sein bedeutet, sich selbst zu vertrauen. Wut beendet das selbstlose Tragen der Schuld anderer.“
(Quelle: „Wut ist weiblich, Porträt eines komplizierten Gefühls von Anna Dreussi , REPUBLIK, 24.04.2023)

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Letzte Aktualisierung durch Thomas Walser:
30. April 2023