Mehr Arbeit macht mehr Stress für uns und für die Erde

Je weniger Arbeit, desto besser!

Es ist an der Zeit, eine Welt zu schaffen, in der Wachstumsideologie und Konsum nicht mehr unser Leben und unseren Planeten aussaugt. Dafür müssen wir aber unser Verhältnis zur Arbeit überdenken.
Um dies zu illustrieren blicken wir zurück auf das Leben der Steinzeitmenschen, auf die nomadisch lebenden Jäger und Sammler:

Jäger und Sammler ohne Wachstumsideologie und ohne Konsumsucht

Nomadische Jäger/Sammler lebten viel entspannter, friedlicher und gesünder wie wir heute. Wie kommt dies?

Es existieren über 340 anthropologischen Feldstudien über heute noch nomadisch lebende Stämme auf der ganzen Welt – und auch viel Forschung über steinzeitliche Funde. Diese zeigen Folgendes:
Diese Stämme kümmern sich fast besessen um ihre Unabhängigkeit von der Autorität anderer. Sie dulden keine Ungleichheiten – auch nicht von Mann und Frau. Dies erreichten sie durch gemeinschaftliche Entscheidungen nach langen Diskussionen – aber auch durch ihre ganze Lebensart. Frauen waren an der Jagd ebenso beteiligt wie die Männer.
Liebesbeziehungen leben sie «seriell monogam», teils auch polygam und der ganze Stamm (Frauen und Männer) hilft beim Aufzug und der Erziehung ihrer Kinder.
Sie sind auch weniger feindlich gegen andere Gruppen, die man auch mal wechseln konnte. Daraus lesen übrigens viele Historiker, dass der grosse Überlebensvorteil des Homo sapiens nicht die Stärke, sondern unsere Freundlichkeit war („Homo puppy“ nach Bryan Hare, Survival of the Friendlist). Der Neandertaler war uns nach Körperkraft stark überlegen. Er starb aber komplett aus und unsere Vorfahren überlebten ihn.
In der Ökologie spricht man vom „Homo sustinens„, vom Menschen, der nach Nachhaltigkeit strebt. – eine neue Form des freundlichen Homo puppy. Und die feministischen Theorien sehen den Menschen mit der Fähigkeit ausgestattet, für sich und andere zu sorgen. Wir haben zwar heute viele Menschenbilder, aber die Lehre ist noch immer eindimensional.

Weniger arbeiten und friedlicher, entspannter sein…

Die Jäger-Sammler waren recht entspannt. Sie arbeiteten nur etwa 15 – 20 Stunden pro Woche, da man auch im Gegensatz zum sesshaften Bauern mit Land und Haus, wenig Besitz hatte, diesen also nicht bestellen und verteidigen musste. Auch erste Kriege sind erst seit etwa 12’000 Jahren dokumentiert, also auch seit dem Übergang von der Jäger-Sammler-Zeit zum Sesshaftwerden, zu Privatbesitz und zu Landwirtschaft. Vorher scheint das Leben also sehr entspannt und friedlich gewesen zu sein.

Auch sonst viel gesünder leben…

Jäger und Sammler hatten auch viel mehr und unterschiedliche Bewegung und sie fanden unterwegs eine stets frische abwechslungsreiche, v.a. Pflanzen-Ernährung. Sie wird heute wieder unter „mediterrane“ oder „Paleodiät“ als gesündeste Art der Ernährung propagiert: dr-walser.ch/ernaehrung/#mediterran (meist ohne Weizenprodukte…).
Sie waren deshalb schlank und fit – und: es gab damals kaum Hunger. Bei der heutigen „Pandemie der Fettsucht“ wäre Masshalten und möglichst fleischlos essen wieder äusserst Gesundheit fördernd.
Weniger Infektionen auch, da nicht so eng aufeinander (und nicht im Kontakt mit seinen Exkrementen). Pandemien begannen erst mit der Bauernzeit, da dann auch Haustiere gehalten wurden (Zoonosen).

So wurden Menschen aus der Jäger-Sammler-Zeit auch, hatten sie die ersten Kinderjahre überlebt, meist sogar 68 bis 78 Jahre alt. So alt wurden später von den sesshaften Bauern nur wenige.

Was können wir aus diesem Leben der Jäger-Sammler lernen? Diese „Idylle“ lässt sich heute nicht mehr herstellen. Wir sollten aber unsere grenzenlosen Ansprüche auf Wachstum und Konsum aufgeben. Unser Wohnraum und unsere Autos sollten wieder kleiner werden. Die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens für alle wird immer wichtiger – und es braucht die Einsicht, dass weniger Arbeit besser ist – für uns Menschen und für unseren Planeten. Dazu müssen natürlich auch die schlecht bezahlten Menschen in den „System erhaltenden“ Berufen, also auch in der Care-Arbeit klar besser entlöhnt werden (und nicht nur beklatscht wie anfangs dieser Covidzeit)!

Literatur hierzu: James Suzman: „Sie nannten es Arbeit. Eine andere Geschichte der Menschheit“. Yuval Noah Harari: „Eine kurze Geschichte der Menschheit“. Rutger Bregman: „Im Grunde gut“. James Scott Sterling: „Die Mühlen der Zivilisation“.

Moderne Wissensarbeit

Wenn man sich unsere sogenannte Wissensarbeit von heute anschaut, also die Arbeit, für die es keine körperliche oder handwerkliche Fähigkeit braucht, sondern die Anwendung eines erworbenen Wissens, dann stellen wir eine Verschiebung fest:
Es ist unmöglich, neun Stunden am Stück zu denken, zu schreiben, zu entscheiden, zu entwickeln, zu analysieren. Wer es doch versucht, stellt fest, dass man langsamer wird. Fehler macht. Kaputt geht. 
Ich vergleiche unsere Arbeitsweisen mit zwei Tierarten: Kühe und Löwen. Die Kuh grast – «arbeitet» also – acht Stunden am Stück. Die Löwin jagt zwanzig Minuten am Tag. Und erholt sich dann von der «Arbeit».

Die Kuh hält die Löwin für faul. Die Löwin hält die Kuh für blöd. 

Menschen sind eher wie Löwen, sind dann am effektivsten, vor allem bei der modernen Wissensarbeit, wenn sie intensiv arbeiten, solange sie sich inspiriert fühlen, und sich danach ausruhen. Man sprintet und dann ruht man sich aus. Man schaut sich das Ergebnis an, man lernt daraus und versucht es dann erneut. Am Ende läuft man einen Marathon bestehend aus vielen Sprints.

Zyklizität unserer natürlichen Rhythmen vs. Linearität unserer Wirtschaft

Die Welt des Lebendigen mit seinen Rhythmen und Zyklen (Atmung, Puls, Tag/Nacht, Jahreszeiten…) steht im Widerstreit mit dem modernen Projekt des linearen Fortschritts und des unaufhörlichen Wachstums unserer Wirtschaft, also mit unserer Arbeitswelt. Es braucht einen neue Versöhnung dieser gegensätzlichen Prinzipien, eine Arbeitswelt, in der auch die zyklische Regeneration von uns Menschen, aber auch der Natur um uns Platz hat.

Erwartungen: Arbeit ist Stress, Freizeit ist Erholung

Wir verfassen E-Mails bei der Arbeit, und privat melden wir uns mit Textnachrichten bei unseren Freundinnen und Freunden. Es ist dieselbe Tätigkeit. Aber alles, was mit Arbeit zu tun hat, finden wir offenbar generell anstrengender als unsere persönlichen Aktivitäten, schreiben die Psychologinnen Victoria Schüttengruber und Alexandra M. Freund von der Universität Zürich in einem Forschungsüberblick. Das heisst: Es hat nichts mit der Tätigkeit selbst zu tun, ob wir denken, dass diese anstrengend ist, sondern es sind die wohl tiefsitzenden Erwartungen, die uns zu diesem Eindruck bringen. Alles, was für uns mit Arbeit zu tun hat, stresst von vornherein, und bei allem, was mit Freizeit zusammenhängt, erwarten wir, dass es erholsam wird.
Laut den Autorinnen bewerten wir bereits beim Nachdenken über eine künftige Tätigkeit bestimmte Aspekte, etwa ob wir uns selbstbestimmt für sie entschieden haben, ob sie uns hilft, persönliche Ziele zu erreichen, ob wir etwas machen, um Geld zu verdienen, oder zu welcher Tageszeit wir etwas tun werden. Da es im Arbeitskontext häufiger sein kann, dass wir etwas tun, das uns gerade keine Freude bereitet oder das fremdbestimmt ist, fürchten wir eher, dass es uns anstrengen wird.
(Victoria Schüttengruber, Alexandra M. Freund: The role of subjective expectations for exhaustion and recovery: The sample case of work and leisure. Perspectives on Psychological Science, 2023)

Miswanting

Ein toller Begriff (aus der Positiven Psychologie) ist „Miswanting“ (Fehlwunsch – Fehlwollen). Laut Tim Wilson und Dan Gilbert, die den Begriff geprägt haben, ist Miswanting „der Akt, sich darüber zu irren, was und wie sehr uns etwas in der Zukunft glücklich machen wird“. Unser Hirn gibt uns diese problematische Vorstellung, dass wir bestimmte Dinge möchten, um glücklich zu werden. Damit liegen wir aber meist falsch und werden ständig fehlgeleitet.  Diese Dinge unten machen nämlich nach weiteren Studien höchstens 10% aus, die wir damit unser Wohlbefinden heben können!

Das Konzept „Miswanting“ ist vergleichbar mit der „Anhaftung“ im Buddhismus, eine Art Mangelvorstellung, dass immer noch etwas fehlt zum „Glücklichwerden“ (siehe hier: walserblog.ch/2021/03/14/gluecklich-sein/).

Konsum als Lebenszeitverlust

Ich möchte Ihnen hier einen kleinen Trick vorstellen, der mir sehr hilft, abzuwägen, ob ich dieses oder jenes Ding jetzt wirklich unbedingt kaufen muss. Es geht mir dabei nicht um den Preis einer Sache, sondern um ihren Wert in Lebenszeit umgerechnet. Und erst dann kann ich wirklich sagen, ob es mir wert ist…

Fangen wir an:
Kaufen bedeutet: Geld gegen Ware. Das Geld muss aber erarbeitet werden. Also bedeutet kaufen letztendlich: Ich tausche Lebenszeit gegen Dinge.
Wenn etwas 50 Franken/Euro kosten soll, dann stellt sich die Frage: Wie viel Lebenszeit muss ich dafür aufwenden? Wie hoch ist mein wahrer Stundenlohn dafür?
Ich berechne den Stundenlohn aus dem Nettoeinkommen und der Bruttozeit:
Das Nettoeinkommen ist mein Einkommen nach Abzug aller Steuern und Sozialabgaben – eben das, was am Monatsende auf dem Konto landet. Für diesen Artikel lege ich das monatliche Nettodurchschnittseinkommen der Deutschen und Schweizer zugrunde. Es lag 2019 in Deutschland bei etwa 1’800 Euro – in der Schweiz bei 2’160 Franken. Soweit die Zahlen des Schweizer Bundesamtes für Statistik.
Die Bruttozeit ist die Zeit, die ich jobhalber ausser Haus bin plus natürlich alles Homeoffice und – nicht zu vergessen – all die Mikroarbeit, die wir für den Job, für das E-Banking, Steuern, etc. aufwenden. Es ist die Arbeitszeit plus Mittagspause und vor allem auch Pendelzeit. Für dieses Beispiel setze ich einen Zehn-Stunden-Tag an. Acht Stunden reine Arbeitszeit, eine halbe Stunde Mittagspause und zwei Mal 45 Minuten Fahrzeit. Das Finanzamt erkennt 230 Tage Jahresarbeitszeit bei einer Fünftagewoche an. Das sind 19 Arbeitstage pro Monat. Damit kommen wir auf eine monatliche Bruttoarbeitszeit von 190 Stunden.
Der „wahre“ Stundenlohn ist also in Deutschland die 1.800 Euro (Schweiz: 2160 Franken) Einkommen geteilt durch 190 Stunden zeitlichen Aufwand ergeben einen Netto-Stundenlohn von 9.50 Euro (CH: 11.40 Fr.). Das bedeutet: Jeder 50-Euro-Schein hat im Durchschnitt einen Wert von knapp fünf Stunden Lebenszeit (Schweiz: 50 Fr. = 4.4 Std. Lebenszeit).
Setzen Sie Ihre eigenen Zahlen ein. Ich würde mich sehr wundern, wenn Sie auf mehr als 20 Euro/ 20 Franken netto kommen.

Wozu das Ganze?

Ich habe kein Problem, einige mit Zahlen bedruckte Papierstückchen gegen ein neues tolles Handy zu tauschen. Aber wenn die Papierstückchen auf einmal mit Lebenszeit verknüpft sind, ändert sich meine Einstellung. Dann frage ich mich: Will ich wirklich 50 Stunden meines Lebens in so einen Plastiktand investieren oder kann ich auf viele Dinge und Konsum verzichten und damit Lebenszeit für mich und meine Umwelt gewinnen – und unseren einzigen Planeten etwas schonen?!

Veränderung der Arbeitseinstellung in der Pandemie

Nach zwei Jahren Pandemie ist vielen Millionen Menschen bewusster geworden, dass das Arbeiten in einem Büro mit unnötigen Kosten (Zeit, Benzin, Auto, Stress) verbunden ist, während der Nutzen scheinbar nur für den Arbeitgeber vorhanden ist. In diesem Beitrag der New York Times wird die aktuelle Debatte um die „Rückkehr ins Büro“ zusammengefasst. (Piqd vom 30.06.22)

Wechseln Sie in einen Job im Bereich Nachhaltigkeit!

Erstens ist es Menschen möglich, Teil eines positiven Ganzen zu sein und nicht nur für das Gehalt des CEO arbeiten zu müssen. Die Schilderungen (in der NYT) betonen die Sinnhaftigkeit der neuen Tätigkeit – auch wenn diese in den meisten Fällen mit einem Gehaltsverzicht verbunden ist. Der Wechsel von einer stupiden und abstrakten hin zu einer erfüllenden sinnstiftenden Arbeit lässt die Menschen „aufblühen“. Und dies führt zum zweiten wesentlichen Punkt: Transformation in Richtung Nachhaltigkeit wird als etwas Positives begrüsst, es ist ein Geist des Aufbruchs spürbar, zumal wenn dies einhergeht mit der Erfahrung der Selbstwirksamkeit.

Viele Unternehmen suchen psychologische Lösungen für organisatorische Probleme. Das sollte verboten werden.

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Mehr Lebenszeit: mehr Wohlbefinden, mehr Gesundheit…

Damit wären wir wieder beim Thema dieses Beitrags, dass mein Wohlbefinden und meine Gesundheit besser wird, je mehr Lebenszeit ich – wie die Jäger und Sammler – in meine Beziehungen, Familie, Bewegung, entspannende Dinge meiner Freizeit, usw. gebe – und je weniger Zeit ich der ganzen Arbeit, des Konsums und damit dem Wirtschaftswachstum schenke. Dazu habe ich bereits in diesem früheren Blogbeitrag „Zeit vs. Geld“ nachgedacht -und auch ganz allgemein in meiner grossen Frageseite zu Ihrem Gesundheitszustand.

New Work -nur noch ein Drittel Erwerbsarbeit:

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New Work dient also auch dem Gemeinwohl, was in unserer Meritokratie (Leistungsgesellschaft) immer mehr verloren geht (siehe Michael Sandel).

Letzte Aktualisierung durch Thomas Walser:
11. Januar 2024