Das Ende des Ausdauersports?

No sports!

Hatte Winston Churchill doch recht? Auf die Frage eines Reporters, warum er trotz Whisky und Zigarren so alt geworden sei, soll er geantwortet haben: «No sports!». Echt jetzt?
Er starb im Alter von 91 Jahren. Jedoch… Er hatte immer Hunde, mit denen er sicher täglich spazieren ging – und dies machte den Unterschied…
No-Sports nur, falls genügend Alltagsmix an Bewegung über die Woche verteilt. Massvoll ist also auch hier gesund. Welches Mass nun?

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Mir schien schon seit Jahren, dass Sport, welcher mehrheitlich mit stressiger Leistung und Selbstoptimierung verbunden ist, nicht gut sein kann. Die neusten Trends im Sport und in der Ernährung, angeführt von Fitnessmodels auf Instagram und Tiktok verlangen aber genau dies: viel Disziplin und Selbstkontrolle!
„Der Ton der Massregelung in der modernen Fitnesskultur (und übrigens nicht viel weniger im modernen Gesundheitswesen!) widerspiegelt wohl nur die Heftigkeit, mit der wir uns gegen den inneren Schweinehund wehren und all die Anforderungen des Alltags, die uns an bequeme Stühle fesseln und Auf-einen-Bildschirm-Starren. Die nützlichsten Mitglieder der digitalkapitalistischen Gesellschaft sind daher die, denen es am besten gelingt, ihren Körper gänzlich zu ignorieren und ihre Biologie zu verdrängen.“
(Zitat aus DIE ZEIT 30/2017 von Marie Schmidt)

Solcher Sport ist Stress mit all seinen Folgen

Rumjoggen mit hochrotem Kopf und verkniffenen Gesicht, Poweryoga, Spinning und weitere anstrengende Sportarten führen zu Stress. Unser Organismus kann Sport ohne Genuss nicht von Stress unterscheiden – mit all seinen negativen Folgen.
Dabei spielen unsere Hormone verrückt: Es wird unter anderem viel Kortisol ausgeschüttet. Kortisol fährt unser Immunsystem runter. Wir werden anfälliger für Entzündungen und Infektionen. Diese erhöhte Entzündungsneigung führt weiter zu Verkalkungen und als unheilvolle Entwicklung, zur Aktivierung der verheerenden Arteriosklerose. Dies hat nun auch die Forschung nachgewiesen .

Intensiver Ausdauersport verhindert keinen Herzinfarkt – im Gegenteil!

Dieser Paradigmenwechsel in der medizinischen Sicht auf den leistungsbetonten Ausdauersport (in folgender Studie: mindestens 8 Stunden intensives Fahrradfahren pro Woche oder 6 Stunden Jogging oder 8 Stunden Triathlon) wird nun auch durch die laufende Forschung bestätigt.
Wir sind ja meist überzeugt, dass Ausdauersport gesund ist und er unser kardiovaskuläres Risiko reduziert. Eine belgische Forschergruppe belehrt uns nun eines Besseren (Studie).
Sie verglichen das Ausmass der Koronarsklerose von 191 lebenslangen Ausdauersportlern mit 191 Späteinsteiger-Ausdauersportlern (Beginn nach dem 30. Lebensjahr) sowie mit 176 gesunden Nicht-Athleten, die in ihrem Leben keinen Ausdauersport betrieben hatten. In allen drei Gruppen handelte es sich nur um Männer mit einem medianen Alter von 55 Jahren. Keiner der Probanden war Raucher, keiner war übergewichtig und bei keinem war eine koronare Herzkrankheit bekannt. Die Koronarsklerose wurde mittels Computertomographie quantifiziert: Anzahl und Lokalisation von Plaques, Verkalkungs-Score und -Häufigkeit sowie Stenosegrad der Herzkranzgefässen. Überraschend fand sich eine Dosis-Wirkungs-Beziehung, das heisst je länger der Ausdauersport betrieben wurde, desto wahrscheinlicher fand sich eine relevante Koronarsklerose. Die Parameter, die für eine ischämische Herzkrankheit prädestinieren, waren bei den lebenslangen Ausdauersportlern am höchsten. Bei den Nicht-Sportlern waren sie am geringsten, die Späteinsteiger lagen meist dazwischen.
Dies ist wohl auch die anatomisch-pathologische Erklärung des Sport-Paradoxes «plötzlicher Herztod bei Athleten».

„Alles mit Mass!“ oder „Bloss nicht übertreiben!“ hat als Motto für Sportler und Jogger eine lebenswichtige Berechtigung, wie auch eine dänische Langzeitstudie der Uni Kopenhagen zeigt: 1000 Läufer wurden 13 Jahre lang beobachtet und die Sterberate mit der von 4000 Untrainierten verglichen. Wie vermutet, hatten die Jogger insgesamt eine höhere Lebenserwartung als die Sportmuffel. Doch diejenigen Läufer, die oft und hart trainierten, überlebten die 13 Jahre deutlich seltener als die Schleicher. Schlimmer noch: Die Überlebensquote der Hochtrainierten war kaum höher als die der Stubenhocker.
Nach dieser grossen Studie ist das ideale Laufpensum nur 1 bis 2,5 Stunden pro Woche. Und die optimale Geschwindigkeit: bedächtig!

Selbstoptimierung schadet unserer Gesundheit

Die Philosophin Ariadne von Schirach beschreibt in Ihrem Buch «Du sollst nicht funktionieren» die Folgen dieses Leistungsdruckes der Selbstoptimierung, die wir immer auch beim Ausdauersport erleben, als fatal:
“Jenseits von Burnout, Einsamkeit und Angst ist doch das Schlimmste an der unablässigen Selbstoptimierung dieser überall bemerkbare Verlust von Lebensfreude. Wir verlernen, uns gehen zu lassen. Die Fähigkeit, Hingabe, Lust und Rausch zu erleben und zu geniessen, kommt uns durch diese dauernde Selbstbeobachtung und Selbstkontrolle abhanden. Doch das ist nicht alles.
Die Philosophie rät seit Jahrtausenden, der Mensch solle sich um seine Seele kümmern. Das bedeutet, eine Beziehung zu seinem Inneren zu haben – zu seinen Gefühlen, Träumen und Werten. Zu seiner eigenen Lebendigkeit. Wenn diese Beziehung verloren geht, verlieren wir auch den Sinn unseres Lebens.
Selbstoptimierung als eine Form von Kontrolle suggeriert nun Sicherheit. Auch angesichts der umfassenden Beschleunigung versuchen wir, an etwas festzuhalten: an unserer Jugend oder an unserer Leistungsfähigkeit.
Zugleich versuchen wir uns immer wieder auf allen möglichen Märkten zu beweisen – vom Dating- bis zum Arbeitsmarkt.
Dadurch wird der Selbstwert zum Marktwert. Dabei vergisst man leicht, dass jeder Mensch, genau so wie jedes Stück Natur und jedes Tier, an sich wertvoll ist. Dieses Wissen müssen wir uns zurückerobern.
Ich glaube, der entscheidende Faktor ist dabei nicht das Mass, sondern auch die Motivation. Es ist sinnvoller, die Energie, die wir in die Optimierung unseres Selbst stecken, dafür zu nutzen, das Bild, das wir abgeben möchten, mit unserer inneren Wirklichkeit in Korrespondenz zu bringen.

In einer Zeit, in der die Welt so sinnlos und brutal wirkt, liegt es an jedem Einzelnen, Widerstand gegen Konkurrenz, Kälte und Gier zu leisten. Das beginnt mit einem nutzlosen Lächeln, das wir dem anderen schenken, anstatt ihn oder sie einfach nur abzuchecken. Es ist an der Zeit, wieder Lieben zu lernen und das Leben zu wagen, anstatt es nur zu verwalten.”

Bewegung besser mässig, regelmässig, ohne Fitnesstracker und Schrittzähler, outdoor im Grünen und mit einem Lächeln

Sinnvoll und nachgewiesenermassen gesund ist ein Mix von mässiger, aber regelmässiger Bewegung genussvoll quer durch unseren Alltag. Und selbst, falls Sie vorhaben, einen Marathon zu laufen, versuchen Sie dabei mit einem Lächeln über die Ziellinie zu kommen!

Zudem zeigt unsere Erfahrung, aber auch die Forschung, dass Sport, der draussen in der Natur betrieben wird, selbst stark gestresste Menschen zur Entspannung bringen kann. Die Natur stimuliert dabei gerade soweit, dass sie die Aufmerksamkeit unseres Hirns nur sanft aktiviert, ohne sie unnötig zu belasten. Unsere geschwächte Konzentrationsfähigkeit kann sich dadurch besser erholen. (Studie)

Die Umgebung ist auch für unsere psychische Erholung entscheidend: Natur (Wald, Park) schlägt hier Betonlandschaft (aber auch das Fitnessstudio!) um Weiten. Behebung von Müdigkeit und Förderung der Vitalität wurden in dieser Studie gemessen.

Die Länge und Intensität der Bewegung in der Natur hat ebenfalls einen starken Einfluss auf unsere psychische Entspannung: In der gleichen Studie fühlten sich die Teilnehmer*innen nach rund 15-minütigem Gehen in grüner Umgebung deutlich ruhiger und ausgeglichener, als wenn sie sich 40 Minuten oder länger bewegt hatten. 

Weiterlesen hier und beim Jogging, Berglauf, Wandern

Kortisolausschüttung beim stressigen Ausdauersport kann selbst zu einer Fetteinlagerung im Bauch, Brust und Gesicht führen.

Gewidmet meiner Kondi-Trainerin Charlotte, die beim Sport immer auch lächelt und es offensichtlich geniesst! Ich bin am Lernen…

Foto von Ian Wagg auf Unsplash

Letzte Aktualisierung durch Thomas Walser:
13. Mai 2023