Neuroinflammation

Neuroinflammation, ein Immunsystem nur fürs Gehirn

Unser normales Immunsystem würde im Gehirn mehr Schaden anrichten, als zu schützen. Deshalb gibt es im Nervensystem eigene Mechanismen der Krankheitsabwehr, vor allem die Neuroinflammation (die Entzündung von Nerven und Hirn). Bei akuten Krankheiten kann diese Neuroinflammation als Zeichen einer guten Immunantwort auftreten. Sie zeigt sich dann z.B. bei einer Grippe als allgemeine Malaise (Unwohlsein), grosse Müdigkeit, Kopf- und/oder generalisierte Körper- und Gliederschmerzen.
Neuroinflammation kann in allen Gehirnregionen vorkommen, die für die Schmerzverarbeitung wichtig sind (Gyrus cinguli, Amygdala, Basalganglien, Präfrontalkortex, Somatosensorischer Kortex, …) und auch im Deszendierend-Hemmenden-System (körpereigene Schmerzabwehr durch hemmende Nerven vom Hirn in die Peripherie).
Die Neuroinflammation schützt dabei unser Nervengewebe im Gehirn mit speziellen Zellen (Mikroglia) und einer starken Blut-Hirn-Schranke vor Krankheitserregern.
Gerät diese Immunreaktion aber ausser Kontrolle kann sie dort überall zu Fehlfunktionen, vor allem zu einer Hypersensibilität und vermehrten Schmerzen führen.
Eine gesteigerte, pathologische Neuroinflammation tritt dann z.B. bei folgenden Krankheitszuständen auf, die durch Überempfindlichkeit und Übererregbarkeit geprägt sind – und die typischerweise auch gehäuft zusammen auftreten können:

Bei Schlafstörungen, Depression, Angststörungen, beim Malignen Übergewicht (Adipositas), Diabetes mellitus, Reizdarm, Reizblase, chronische Spannungskopfschmerzen und beim Chronischen Schmerzsyndrom – auch beim Drogenabusus (Opiate!) und im Extrem bei der Alzheimer-Krankheit, beim Morbus Parkinson und bei der Multiplen Sklerose.

Neuroinflammation und Chronischer Schmerz durch Dauerstress und Schlafstörungen

Dass lang anhaltender psychosozialer Stress zu Schmerzerkrankungen  führen kann, wurde in den letzten Jahren gut belegt. Eine wesentliche  Rolle spielen auch hier neuroinflammatorische Prozesse, also entzündliche  Vorgänge in unserem Nervensystem.
Diese führen zusätzlich auch zu Schlafstörungen (Insomnie), welche wiederum im Teufelskreislauf das Schmerzerleben noch  weiter verschlechtern. Beide Faktoren (chronischer Stress und Insomnie)  und ihre Folge, die Neuroinflammation ist auch bedeutsam beim  Fibromyalgie-Syndrom. Man spricht denn heute auch bei der  Fibromyalgie von einer generalisierten, Stress assoziierten,  neuroinflammatorisch mit bedingten Hypersensibilitätserkrankung.

Es existiert eine klare Interaktion zwischen unserem Stoffwechsel im Dauerstress und dem Immunsystem. Steroidhormone (Adrenalin, Kortisol) werden bei Stress ausgeschüttet (auch bereits bei einer starken körperlichen Belastung, sprich Leistungssport) sind potente Immunsuppressoren, führen also zu einer Drosselung (bei akuten Belastungen günstig) oder Fehlfunktion (bei langzeitiger Ausschüttung). Fieber führt zu einer tiefen Veränderung im Metabolismus. Als exemplarisches Beispiel ist die Insulinresistenz und der Insulinsekretionsdefekt beim Diabetes in wesentlichen Aspekten eine pathologische Reaktion des Immunsystems – auch die wichtigsten Komplikationen des Diabetes: Herz-Kreislauf, Nieren- und Augen-Krankheiten.

Dieser Zusammenhang von Immunsystem und Stoffwechsel (auch Immuno-Metabolismus genannt) beschreibt Jacques Philippe schön in einem Artikel der Schweiz Med Forum 2018 (dabei aber auch die Ernüchterung der Therapieversuch mit antientzündlichen Medikamenten).

Auch die Zusammensetzung unserer Darmflora spielt in diesem Zusammenhang wahrscheinlich eine sehr grosse Rolle (Beispiel Diabetes: bei der Entstehung der Insulinresistenz).

Therapieansätze

So lässt sich dann auch ableiten, weshalb mässige, aber regelmässige Bewegung beim Chronischen Schmerzsyndrom hilft. Diese Muskelaktivität führt über diverse komplizierte Vorgänge (siehe folgende Abbildung) zu einer starken Verbesserung auch der Neuroinflammation.
Die übermässige, leistungsbetonte Bewegung (Leistungssport) verstärkt hingegen die Neuroinflammation durch Ausschüttung der Hormone Cortisol, Adrenalin und Entzündungsstoffe, wie die Zytokine!

(Copyright Prof. Jürgen Sandkühler, Zentrum für Hirnforschung, Medizinische Universität, Wien; http://cbr.meduniwien.ac.at)


Auch eine spezielle entzündungswidrige Ernährung, d.h. viele Pflanzen, wenig Alkohol und wenig Fleisch, viele Bitterstoffe (Polyphenole, wie schwarze Schokolade, Kaffee, bittere Öle (Lein-, Raps-, Olivenöl) senkt die neuroinflammatorische Neigung. Dies entspricht in etwa der „mediterranen Ernährung“.
Die vegetarische (ev. sogar sorgfältige vegane) Ernährung ist hier optimal, auch da damit unsere Darmflora massiv besser wird!

Weiter verweise ich auch auf das 16:8-Kurzfasten, welches enorm entzündungswidrig ist und so auch gegen die Neuroinflammation wirkt!

  • Ernährung entzündungssenkend: mediterran; auch vegetarisch oder (sorgfältig) vegan (bessere Darmflora!); Kurzfasten, wie 16:8.
  • Mehr Bewegung – mässig und regelmässig.
  • Mehr Beruhigung, Entspannung, Innerer Frieden…
    Meditieren… Sie sind dadurch weniger gestresst und gereizt.
  • Soziale Isolation vermeiden…

Entzündungshemmende Medikamente wirken nicht, schaden aber!
Heute ist unbestritten, dass NSAR (Nicht-steroidale Antirheumatika, wie Diclofenac, Ibuprofen, Naproxen…) eine protektive Wirkung gegen M. Alzheimer haben. In der Physicians Health Study nun konnte beim 25jährigen Follow-up bei über 600 Patienten mit einem M. Parkinson kein Hinweis gefunden werden, dass diese Analgetika auch das Risiko an einem Parkinson zu erkranken, reduzieren (Driver JA et al. Use of non-steroidal anti-inflammatory drugs and risk of Parkinson’s disease, BMJ 2011;342:d198).
Die Nebenwirkungen dieser Medikamentengruppe sind aber bei Langzeitanwendung so häufig und vielfältig, teils dramatisch gefährlich, dass sie zur breiten Anwendung überhaupt nicht in Frage kommen!

Die Diabetesmedikamente GLP-1-Rezeptoragonisten sind eventuell auch sinnvoll bei der Neuroinflammation.
Neurodegenerative Erkrankungen, v.a. der M. Parkinson, dürften angesichts des ungebrochenen Trends zur Langlebigkeit (in der 1.Welt) weiter zunehmen. Die sogenannte Neuroinflammation wird heute nicht mehr als Reaktion auf die Zelldegeneration des Zentralnervensystems (ZNS), sondern zumindest als eines der wichtigen «primum movens» in der Neurodegeneration angesehen. Aktivierte (Mechanismus?) Mikroglia (Makrophagen) sezernieren Entzündungsfaktoren (u.a. TNF, Interleukin-alpha), welche die Astrozyten zur Sekretion eines neurotoxischen Faktors verleiten (sog. Konversion der Astrozyten in einen neuro­toxischen A1-Phänotypen). Dieser Faktor induziert dann Aggregate von alpha-Synuklein («Lewy bodies», Lewy-Neuriten), gefolgt von extrapyramidalen Bewegungsstörungen. Auf den ZNS-Mikrogliazellen wird der «glucagon-like peptide-1»-Rezeptor (GLP-1R) exprimiert, dessen Aktivierung diese Entzündungskaskade hemmt. Mittels eines pegylierten, ZNS-gängigen Agonisten bei zwei verschiedenen Mäusegruppen (transgene Erhöhung oder ­externe Zufuhr von Alpha-Synuklein-Aggregaten) führte dieser Agonist via die unter ­anderem aus Lymphozyten bekannte Hemmung von NF-kappaB in der Mikroglia zu ­einer Hemmung der Entzündungsantwort und einer Verlängerung der Überlebenszeit der dopaminergen Neuronen. Die Mäuse lebten auch länger mit signifikant reduzierter Verhaltens- und Bewegungsstörung. (Nature Medicine 2018, doi.org/10.1038/s41591-018-0051-5)

Massagen bei Neuroinflammation (z.B. Chronische Rückenschmerzen):
Es ist ein Fehler hier zuviel und regelmässig zu massieren, da dies weitere Reize bedeuten, die schlussendlich die Neuroinflammation verstärken.
Dasselbe kann übrigens auch von (so harmlos scheinenden) häufig wiederholten homöopathischen Mitteln (oder wiederholten energetischen Reizen, wie Akupunktur, Shiatsu, …) gesagt werden.

Soziale Isolation schützt zwar vor Infektionen (Corona!), doch der Stress des Abgeschiedenseins fördert seinerseits Entzündungen im Körper, wie bei einer Analyse von 30 Studien nachgewiesen wurde.Isolierte Personen, besonders Männer, haben mehr Entzündungsmarker im Blut.

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Veröffentlicht am 29. Juni 2019 von Dr. med. Thomas Walser
Letzte Aktualisierung:
05. Januar 2022