Zehnerjahrkrisen

Quarterlife-, Midlife- oder Wechseljahr-Krise

Erschöpfung, Schlafstörungen, depressive Stimmung, Muskelschmerzen oder Harnwegprobleme und selbst Trockenheit der Scheide und vermehrter Haarausfall…
Man beobachtet einen Anstieg dieser Beschwerden in den Wechseljahren… aber auch in sämtlichen Lebensphasen, von der Jugend bis ins hohe Alter. Jedoch gehäuft vor und um die Zehnerjahre, also schon gegen 30, dann 40 und eben um 50jährig! Weiter dann auch wieder gegen 60 und 70.

Diese runden Geburtstage haben es in sich: Man rekapituliert dann sein bisheriges Leben und schaut nach vorne. Was hat man “erreicht”, was will man noch… Dies alles kann in eine eigentliche Krise führen. Man/frau nennt sie dann auch “Quarterlife-” oder “Midlife-Krise”.
Es sind Sinnkrisen.

Quarterlifekrise

Es sind auch häufig Krisen auf Grund von entscheidenden Richtungswahlen im Leben. Am deutlichsten wird dies bei der Berufswahl zwischen 20 und 30jährig, die dann zur sogenannten Quarterlifekrise führen kann. Dabei kann die grosse Freiheit, die heute junge Menschen bei uns haben, zur Belastung werden: Wir sind es, die über unser Leben entscheiden müssen. Niemand kann uns diese Last abnehmen. Sartre spricht deswegen auch von einer „Verurteilung zur Freiheit“. Der Kern der QLK ist die Angst, aufgrund von Entscheidungsfehlern in einem Meer an Möglichkeiten ein gelungenes Leben zu verpassen. Anders gesagt: Die Möglichkeiten, die sich einem jungen Menschen bieten, sind einerseits kaum überschaubar, andererseits haben bisherige Entscheidungen den zukünftigen Pfad schon entscheidend geprägt. 
Doch keine Freiheit schwebt im luftleeren Raum, es gibt immer eine Faktizität, die sie erdet – Interessen und Talent etwa. Oder dass uns manche Tätigkeiten innerlich zum Funkeln bringen, andere nicht. Und auf der anderen Seite gilt: Wie faktisch eine Situation auch immer sein mag, es gibt immer eine Möglichkeit, sie zu überschreiten. Menschen in der QLK begehen einen Fehler, wenn sie davon ausgehen, dass nach den „grundsätzlichen“ Entscheidungen der 20er keine weiteren Entscheidungen mehr anstehen. Vielmehr ist die Reflektion von vielen aufeinanderfolgenden Entscheidungen ein nicht endender Prozess, der erst den grossen Entwurf des Lebens ausmacht. 
Anders gesagt: Die 20er werden in ihrer Bedeutung überschätzt. Jede Wahl, die junge Menschen treffen, verkommt durch inneren und äusseren Druck zu „der“ entscheidenden Wahl. Jedoch folgen nach den 20ern die 30er, die ebenso wie die 40er Entscheidungen fordern. Die existenzialistische Erkenntnis einer „Verurteilung zur Freiheit“ stellt also einen dauerhaften Modus dar. Was nach Pessimismus klingt, beherbergt in Wahrheit ein unheimliches Potenzial an Enthusiasmus. Denn dann sind die 20er nicht mehr der entscheidungsträchtige Flaschenhals des Lebens, sie sind vielmehr eine Phase, in der man das erste Mal mit den vielen Möglichkeiten seiner Freiheit in Berührung kommt. Eine Einsicht, die „die“ eine Wahl „eines“ Lebenswegs relativiert und durch die vielen kleinen Wahlmöglichkeiten im gesamten und ganz individuellen Lebensentwurf ersetzt (1).

Geriatric Millenials

Jetzt werden die ersten der Teenager vom letzten Jahrtausendwechsel 40 und bezeichnen sich selbstironisch als „Geriatric Millennials“. Es fühlt sich oft so an, sagen sie, als wäre das Leben eine Reihe an Krisen, die es irgendwie zu bewältigen gibt – bei gleichzeitig deutlich weniger existenzieller Sicherheit als bei den vorangegangenen Generationen. Für die heraufbeschworene stinklangweilige Bürgerlichkeit, aus der man dann entsprechend ausbrechen kann, fehlt es an Zeit und Geld (3).

Kann es sein, dass man um zu wachsen, nicht zu wenig seine Komfortzone verlässt, sondern im Gegenteil zu viel!

…und das Gegenbeispiel:

Glück mit Falten: die Midlife-Boomer

Wir brauchen ein neues Bild vom Altern. Zu viele Menschen glauben noch, dass es vom 50. Geburtstag an abwärts geht. Mit dem Leben. Mit der Karriere. Mit der Gesundheit. Mit dem Glück.
Das aber ist ein Trugschluss, wie neue Studien zeigen. Sie deuten darauf hin, dass die Menschen ab 50 glücklicher und zufriedener werden. Die Glückskurve stellt sich als U-Form heraus, mit einem statistischen Tiefpunkt im Alter von 46. Auch die Lebenszufriedenheit ist im Alter noch weit höher als in der Phase der frühen Erwachsenenzeit. Hinzu kommt der demografische Wandel. Menschen um die 50 werden künftig gefragt sein, weil sich der Mangel an Facharbeitern kontinuierlich verschärft (2).

Sinnkrise und körperlicher Abbau bei alternden Männer

Zwar wird das Älterwerden der Männer gesellschaftlich nicht so tabuisiert wie bei den Frauen: Viele Männer gelten in ihren Fünfzigern noch immer als attraktiv. Im Gegensatz zu Frauen, die oft das Gefühl haben, sie seien «unsichtbar» geworden. Doch auch viele Männer spüren um die Lebensmitte herum eine gewisse Sinnkrise sowie einen körperlichen und geistigen Abbau. Besonders heftig können diese ­Beschwerden werden, wenn es scheint, als ob die Lebenschancen vertan wären. Einige Männer können nicht verschmerzen, dass ihnen der «grosse Wurf» nicht gelungen ist und es vielleicht keine Chancen mehr geben wird, andere hadern mit unerfüllten Wünschen und Träumen.

Apropos Midlife-Krise. Diese wird oft im Zusammenhang mit einem radikalen Wechsel im Leben eines Mannes vermutet. Und natürlich gibt es diese Wendepunkte, wie den 50-Jährigen, der zum ersten Mal Vater geworden ist und konfrontiert wird mit der Herausforderung, aber auch Freuden welche dies mit sich bringt. Frauen haben diese Chance einer späten Familiengründung nicht mehr, und die Beziehung zu einem jüngeren Mann ist nicht so selbstverständlich wie im umgekehrten Fall. Aber der 50-Jährige, der mit der halb so alten Blondine auf seiner Harley in den Sonnenuntergang braust, ist ein Klischee, das immer weniger der Realität entspricht.
Auch der typische Marathonläufer ist heute zwischen 40 und 50 Jahre alt… und steckt in einer Midlifecrisis (zur Bewegung als Selbsttherapie der Psyche)!
Sinnfragen lassen sich auch bei Männern nicht mehr jahrelang ­hinausschieben, denn das Leben ist, egal ob man Mann ist oder Frau, eine einzige grosse Herausforderung.
Weiterlesen über Männergesundheit >> und über den Marathonläufer um die 50ig >>

Die Hälfte des Lebens, sie lehrt uns neu, was peripher und was wesentlich ist

„Vielleicht muss man ja – metaphorisch gesprochen – die Mitte des Lebens erreicht haben, um nach den Rändern seines Lebens greifen zu können: dorthin, wo über die Jahre so manches liegen geblieben ist, dem wir bisher keine oder wenig Aufmerksamkeit geschenkt haben, weil wir viel zu beschäftigt waren mit den angeblich «zentralen Dingen» (Ego, Ansehen, Ruf, Karriereplanung etc.).
Die Hälfte des Lebens, sie lehrt uns neu, was peripher und was wesentlich ist.“
(Kaltërina Latifi, und Literaturwissenschaftlerin. im DAS MAGAZIN, 13/2024)

Resilienz – unser „mentale Muskel“ zur Bewältigung von Krisen

Mit “Resilienz” wird in der psychologischen Forschung die psychische und physische Stärke bezeichnet, die es Menschen ermöglicht, Lebenskrisen, wie schwere Krankheiten oder auch ein Burnout ohne langfristige Beeinträchtigungen zu meistern. Kurz: Gedeihen trotz widriger Umstände.
Resiliente Menschen kann man mit einem Boxer vergleichen, der im Ring zu Boden geht, ausgezählt wird, aufsteht und danach seine Taktik grundlegend ändert (resilience = englisch: Elastizität, Spannkraft – “resilire”, lat. abprallen). Resilienz wurde auch schon “the mental muscle everyone has” genannt oder das “Immunsystem unserer Seele”.
Weiterlesen über die Resilienz>>

Das 50. Lebensjahr als positiver Wendepunkt >>>

Literatur:
„In The Middle Passage: From Misery to Meaning in Midlife“ bietet der Jungianische Analytiker James Hollis eine Fackel an, um die gefährliche Dunkelheit der Lebensmitte in einen Scheiterhaufen tiefgreifender Transformation zu verwandeln – eine ebenso schöne wie erschreckende Gelegenheit, sich die Denk-, Gefühls- und Verhaltensmuster neu vorzustellen, die man sich im Laufe der Anpassung an die Traumata und Anforderungen des Lebens angeeignet hat, und endlich das authentische Selbst unter dem Kostüm dieser vorläufigen Persönlichkeit zu bewohnen.

Quellen:

(1) „Quarterlifekrise als Chance“ von Hendrik Buchholz in PhiloMag, 05/2023
(2) Weiterlesen über Midlife-Boomer
(3) Millennials in Midlifecrisis – Ist das schon alles? Lakonisch Elegant – Deutschlandfunk Kultur · 23.03.2023
DAS MAGAZIN NR. 12/2023

Sonntagszeitung, 14.05.2017: „Männer altern anders“

Foto von Martin Reisch auf Unsplash

Letzte Aktualisierung durch Thomas Walser:
14. Februar 2024