Männer schiessen ein Eigengoal, falls sie verpassen, dass es in der zweiten Halbzeit des Lebens in die andere Richtung geht, wie im Fussball… Frauen ebenso

„In der ersten Lebenshälfte geht es vor allem darum, selbstbewusst zu werden. Im Upgrade geht es darum, dieses Selbstbewusstsein in Grosszügigkeit gegenüber uns selbst und anderen zu verwandeln“ (Louann Brzendine: Gehirn-Power Wechseljahre)

Anhand eines Fussballspiels kann man auch noch mehr erkennen:
Der junge Mensch ist ein Stürmer – der ältere ein Mittelfeldspieler, der nicht mehr so viele Sprints hinlegt und Tore schiesst, der jedoch viel Übersicht hat, das Spiel flach hält, in die Länge zieht, um dann die entscheidenden Pässe zu schlagen…

Das 50. Lebensjahr als positiver Wendepunkt

In der ersten Lebenshälfte bis 50 eignen wir uns eine Fülle von Wissen und sozialem Knowhow an, die wir dann im zweiten Teil, in den nächsten 50 (oder weniger) Jahren an unsere Umgebung und die Gesellschaft zurückgeben. Dies ist eine Art soziales Sicherungssystem: Erst erwirbt man Kompetenzen, dann gibt man sie an das System, an nachfolgende Generationen zurück.
Hier wird also das 50. Lebensjahr zu einem positiven Wendepunkt: Mit 50 wird das Leben erst richtig interessant. Mit 50 können die Menschen gesellschaftlich wichtige Beiträge leisten – in ihrem kommunalen Umfeld, bei der Arbeit, in der Familie. Die zweite Lebenshälfte ist so eine Ära persönlichen Wachstums und sozialem Engagements. Und dafür sind die über 50-Jährigen auch gesundheitlich – emotional wie körperlich – gut ausgestattet. Studien zeigten, dass Ältere weniger psychiatrische Erkrankungen haben, sie leiden weniger oft an Depressionen, Angsterkrankungen, Phobien und Süchten als Jüngere.
Auch körperlich sind die über 50-Jährigen so gesund wie nie zuvor in der Geschichte. Wenn ich mir eine Gruppe von Menschen wünschen dürfte, die sich um die sozialen und wirtschaftlichen Probleme der Welt kümmern, dann wären das die Menschen über 50. Sie profitieren von der Vielfalt an Wahlmöglichkeiten, die sie aufgrund ihrer Lebenserfahrungen erworben haben. Diese Weitsicht des Alters müsste die Gesellschaft viel stärker nutzen (Art of Aging!).

Von der fluiden zur kristallinen Intelligenz

Unsere erste Halbzeit bis 50 ist dominiert von unserer sogenannten fluiden Intelligenz, die vor allem auf Innovations- und Konzentrationsfähigkeit sowie Arbeitsgedächtnis basiert. Es gibt einiges an Forschung dazu. Gerade bei Zwanzig- und Dreissigjährigen ist die fluide Intelligenz unglaublich stark. Das durchschnittliche Alter eines Gründers eines US-Tech-Start-ups mit einer Milliarde US-Dollar Marktbewertung liegt bei gerade mal 31 Jahren. Mit anderen Worten: In diesem Alter kann man sich unermüdlich auf ein Ziel konzentrieren. Dasselbe gilt für Chirurgen, Anwälte, Musiker, Schriftsteller, Komponisten, Fluglotsen, sogar Elektriker.
Die fluide Intelligenz erreicht mit 39 Jahren ihren Höhepunkt und nimmt dann ab. Die meisten Menschen denken, sie hätten ein Burnout, aber wahrscheinlich sind es einfach strukturelle Veränderungen im Gehirn.

Die gute Nachricht ist nun, dass sich im Schatten der ersten Kurve eine zweite Kurve aufbaut, wir nennen sie die kristalline Intelligenz, die eher auf Wissen, Einschätzung und Erfahrung beruht. In der Regel nimmt sie in unseren Dreissigern langsam zu, erreicht in unseren Vierzigern ein erstes Hoch, klettert in unseren Fünfzigern noch einmal weiter nach oben und verbleibt dann für den Rest des Lebens relativ stabil auf diesem Niveau.
Das Wichtigste ist, dass es dann nicht mehr um die Fähigkeit geht, komplexe Probleme in atemberaubender Geschwindigkeit zu lösen oder mit innovativen Ideen die Welt zu erfinden. Stattdessen dreht sich alles um Wissen, das Erkennen von Strukturen und die Fähigkeit, das auch weiterzugeben.
Wir springen also von der überehrgeizigen Ich-Kurve zur eher zwischenmenschlich orientierten Wir-Kurve. Wir werden vom Erfolgsjunkie zum Lehrer.
(Auszüge aus einem Interview mit dem Harvardprofessor für Soziologie Albert C. Brooks im Tagesanzeiger vom 18.01.2024)

Frauen vor und nach 50

Frauen in unserer Gesellschaft geben sehr viel bis 50 (Kinder, Beruf, Beziehung…) und sind phasenweise recht erschöpft dabei. Nach ihren „Wechseljahren“ erleben sie meist eine neue Kraft und Wildheit (rote Haare!) -oder gleiten dann erst recht in die Schwäche ab (Altersdepression…).

Auch Empathie schenken die Frauen sehr viel mehr

Weshalb erzielen Männer bei Empathietests im Allgemeinen weniger Punkte als Frauen. 2018 hat eine gross angelegte Studie der Universität Cambridge gezeigt, dass es dafür keine genetische Erklärung gibt. Es scheint hauptsächlich damit zu tun zu haben, was Wissenschaftler «Sozialisation» nennen. Mit anderen Worten: Wir leben in einer Gesellschaft, in der die Macht so verteilt ist, dass Frauen ständig ihr Bestes geben müssen, um Männer (die oft höhere Positionen innehaben) zu verstehen. Daher diese ewigen Geschichten über die ungeheure «weibliche Intuition». Von Frauen wird erwartet, dass sie sich in die männliche Perspektive versetzen, aber das Gegenteil geschieht viel seltener.(Rutger Bregman, „im Grunde gut“, S.254)

Männer vor und nach 50

Die Männer leben häufig ihre Wildheit bis 50 voll aus, sind nach aussen gerichtet, nehmen viel von der Gesellschaft (Karriere, Macht, Geld…) – und richten sich dann nach 50 meist mehr nach innen, werden häuslicher, gelassener, ruhiger.
Der „erschöpfte Mann“ zeigt sich vor allem nach 50. Der Held ruht sich aus. Er kann auch richtig schwach werden, durch Burnout, Depression, Impotenz… Männer können nicht selten nach dem Pensionierungsknick zu einem „weiteren Möbelstück im Wohnzimmer“ mutieren.

Alt und reich mag jung und schön oder: erschöpft sucht gelassen (auch umgekehrt) und wild sucht Natur und Einsamkeit…

Wollen vielleicht auch deshalb Frauen (nach neusten Studien wieder bestätigt) eher ältere (gelassenere, gesicherte, ruhige) Männer? Und Männer eher jüngere („erschöpfte“?), schöne Frauen? Nicht die Wildheit sucht sich selbst in der Beziehung, sondern die Gelassenheit. Wildheit sucht eher Naturkraft und Alleinsein (der junge Cowboy oder die freie, reifere Frau).

In der Sexualität prallen diese Gegensätze voll aufeinander: Der junge wilde Mann (mit grossem Geltungsbedürfnis, aussenorientiert, fordernd…) auf die Frau vor 50, die vielseitig gebend, abends häufig erschöpft und lustlos ist.

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Photo by Aaron Andrew Ang on Unsplash

Letzte Aktualisierung durch Thomas Walser:
16. Februar 2024