Spiessig?

Heiraten und so weiter ist spiessig oder „bünzlig“, wie wir es in der Schweiz nennen.Wir verpassen vom Schönsten im Leben, weil wir nicht spiessig sein wollen…

Ich bin einer derjenigen Achtundsechsziger, die geflissentlich alles vermieden, was als „bünzlig“ oder sogar in der Steigerungsform als „füdlibünzlig“ galt. Doch verstand ich damals nicht, dass immer das Gegenteilige von dem zu tun, was alle machen, an und für sich auch ein eigens auferlegter Zwang ohne Ende ist. Irgendwann fand ich es nicht mehr ganz so hip, einfach nur gegen den Strom zu schwimmen. Bloss revolutionär und oppositionell zu sein. Ich wurde älter und überlegte immer mehr, was mich gut fühlen lässt – und was nicht. Übrigens: Mein Barometer für „Gutfühlen“ ist eine klare Empfindung „innerer Ruhe“.

Beispiel Schulmedizin…
Hip war komplementär, Pflanzen zur Heilung, Homöopathie, schamanisch,… – quasi „biologisch“. natürlich, ganzheitlich…

In den letzten Jahren sah ich immer mehr die Enge dieser ausschliesslichen, möglichst „nicht-bünzligen“ Medizin, die die sogenannte „Schulmedizin“ als Reizwort ansah – und möglichst vermied… und damit wunderbare Heilmomente ausschloss.

Zum Beispiel das Kortison – Reizthema Nummer Eins: Wundersam in der guten Anwendung im richtigen Moment, also als „Informationshormon“, wenn es wichtig ist, unserem Immunsystem kurz die Information zu geben, nicht zu übertreiben – zum Beispiel eine allergische Reaktion zu machen und uns quasi „aufzufressen“. Also nur einmal oder ein Tag lang eine Dosis Kortison bei einem Neurodermatitisschub und dann wieder alle komplementären Dinge zum Nachklingen lassen…

Oder… nur kurze Zeit, aber frühzeitig und hochdosiert Schmerzmittel und muskelentspannende bei einem Hexenschuss, damit kein Teufelskreislauf losgeht, der zu Schonhaltung und weiteren Verspannungen und ausgedehnteren Schmerzen führt (siehe www.dr-walser.ch/schmerz.htm)…

Oder… solange Blutdruckmittel nehmen – und damit das Herz und die Gefässe schonen – bis die neu eingeführten Lebensstilveränderungen zur Gewichtsabnahme und Blutdrucksenkung führen (siehe www.dr-walser.ch/hypertonie.htm)…

Beispiel Heiraten…
Ehe-Gegner lieben es damit zu argumentieren, dass Heiraten für Sicherheit, Verpflichtung und Mittelmass steht. Unverheiratet = aufregend, verheiratet = langweilig. Sie denken, mit der Heirat werde automatisch eine Kettenreaktion hervorgerufen, die von der Hypothek, über das Häuschen mit Garten zu Kindern führt. Sie legen genau dieses einseitige, totalitäre Denken an den Tag, welches sie den Verheirateten aber immer wieder vorwerfen.

Ist Heiraten nicht eine Momentaufnahme? Etwa eine Art „Live For The Moment“? Ist Heiraten nicht Rock‘ n Roll? “You Only Live Once”? Manchmal eine Kurzschlussreaktion, ein unüberlegter Akt, aber immer Ein sich-vom-Gefühl-überwältigen-lassen? Eine riesige romantische Hoffnung, ein verträumter Blick in die Zukunft, ein Nicht-mehr-rational-denken und drauflosrennen?

Man fragt sich, wieso manche Menschen immer wieder heiraten. Denselben Fehler immer wieder begehen. Weil es nun eben kein Fehler sondern eine Lebenserfahrung ist. Verheiratete und Geschiedene erklären, man erlebe eine Verbundenheit, die man sonst in keinem Stadium des Konkubinats erreichen könne. Und dass sie immer wieder heiraten würden. Weil es wundervoll ist, sein Gegenüber so zu lieben und zu fühlen, dass man es nicht mehr loslassen möchte. Eine eigene Familie zu gründen, in der alle noch obendrauf einen gemeinsamen Namen tragen und nach aussen klar als Familie erkennbar sind.

Ich sage nicht ja für immer. Ich sage ja zu unserer Vergangenheit und unserem Jetzt. Ich wünsche mir, dass unsere Zukunft genauso schwierig und fantastisch wird wie unser Leben bis anhin. Ich sage ja dazu, dass wir die Karten immer wieder neu mischen und uns gemeinsam und alleine weiterentwickeln, niemals stehen bleiben. Es muss nicht ewig dauern – sondern nur so lange wir es wollen.
Ich habe mich für die Ehe, den Weg der gesellschaftlichen Norm entschieden. Weil ich überzeugt bin, dass Widerstand zwar immer sein muss, doch nicht ewig und nicht mehr, wenn das Herz plötzlich anders zu einem spricht. Auch wenn dies bedeutet, dass man der Allgemeinheit nachgegeben hat. Was man aus diesem Bündnis macht, ist schlussendlich so individuell wie jede Beziehung.
Ein Hoch auf den kurzen Moment, in dem man denkt, man werde für immer zusammen bleiben. Ein Hoch auf Zusammenhalt und gegenseitige Unterstützung. Ein Hoch auf das wundervolle Gefühl der Zugehörigkeit. Auch wenn – in den meisten Fällen nur auf Zeit – oder eben „liebeslänglich“! (teils zitiert von Jelena Keller – herzlichen Dank!)

weitere „bünzlige“ Zonen…
Gewisse Beizen und Gebiete sind bünzlig, weil dort die Leute verkehren oder wohnen, die nicht zu unseren Zielbegegnungen gehören: z.B. das wunderschöne Restaurant Sonne in Küsnacht am Zürisee, da dort vor allem die Manager und Banker der Goldküste und ihre schicken Ehefrauen sitzen – und dabei ist dort auch der fantastische Sonnenuntergang über dem Üetliberg oder ein tolles, nahendes Gewitter… so einzigartig, dass man durch ein paar Abendstunden gleich vermeint, man sei eine Woche in den Ferien gewesen…

Warum nicht mal einen Kaffee in der Knelle um die Ecke trinken, nicht nur im hippen Altstadt-Kulturcafe… Warum nicht mal „Wurst und Brot“ neben all denen zu essen, mit denen du überhaupt nichts zu bereden vermeinst und kein automatisches Interesse für deren Leben vorhanden ist…

Mal auf die spiessigste Mittelmeerinsel in die Ferien: sprich Mallorca und sich in einer abgelegenen Finca verwöhnen lassen…
Warum sich nicht mal Musik anhören, die weit weg von unserem Geschmacksbereich ist? Einen Abend im Opernhaus geniessen…

Das Gegenteil des Bünzligsein wäre das „Sich-Speziell-Fühlen“ und sich immer nur für die „gewissen richtigen“ Dinge zu interessieren…
Warum nicht einfach mal Dinge tun, die dir gegen den Strich gehen, die dich umwälzen, dir andere Seiten, andere Begegnungen bringen als die meist vorhersehbaren, wenn wir mit Gleichgesinnten unseren Abend, unsere Tage verbringen?
Warum nicht einfach mal reinspringen in eben etwas“ Bünzliges“ und somit neue Welten öffnen, die man sonst gerne zu schnell vor sich selbst und der inneren“ richtig gemeinten“ Haltung verschliesst?
Warum sich nicht mal einlassen auf einen anderen Blickwinkel, auf einen neuen Geschmack, den wir vielleicht nicht freiwillig wählen würden?

…einfach um unseren „Fraim“, unseren bekannten Lebensrahmen mal wieder zu weiten, vielleicht auch zu sprengen… um mehr Farbe, mehr Geschmack vom Leben zu bekommen, als wir es vielleicht gerade in diesem, uns so vertrauten Alltagsmoment erhalten und uns vom engen Komfortskorsett etwas zu befreien.